Die erfolgreiche Videospielreihe «Resident Evil» funktioniert nüchtern betrachtet fast immer nach demselben Muster: Held oder Heldin sucht und rettet Menschen in einem begrenzten Areal, das mit Zombies, Monstern und durchgeknallter Obrigkeit angereichert ist. An dieser Grundformel wurde im Verlaufe der Zeit nicht viel verändert, doch spielmechanisch hat sich die japanische Firma Capcom immer wieder mal für Neues entschieden, um der Spielreihe eine neue Richtung zu geben.
2005 war so ein Jahr, wo die Marke unter der Leitung des Serien-Gurus Shinji Mikami mit «Resident Evil 4» neue Pfade beschritt. Die Spielfigur liess sich neu frei steuern und die Action wurde mehr ins Zentrum gelegt. Teil 4 hat der Reihe nicht nur neues Leben eingehaucht, sondern liess auch die Konkurrenz aufhorchen. Kurz: «Resi 4» hat Videospielgeschichte geschrieben und bekommt nach dem zweiten und dritten Teil nun ebenfalls ein Remake spendiert.
Ein sehr wilder Mob
Um was geht es denn eigentlich? Leon S. Kennedy hat vor etwa sechs Jahren in Raccoon City eine scheussliche Zombie-Apokalypse erlebt und ging durch seine persönliche Hölle. Doch es wird jetzt noch schlimmer: Der Super-Polizist arbeitet mittlerweile direkt für den Präsidenten der USA und macht sich im spanischen Hinterland auf den Weg, um dessen verschwundene Tochter Ashley aufzusuchen.

Noch wird Leon am Anfang von zwei netten Polizisten in die karge Natur chauffiert, doch schnell ist er auf sich alleine gestellt und macht die Bekanntschaft mit ziemlich aggressiven Dorfbewohnern, die nach den beiden Polizisten nun auch ihn leibhaftig verbrennen möchten.

Warum sind diese Menschen so aggressiv, was für ein Kult herrscht in dieser Gegend und warum hat es die Präsidententochter überhaupt nach Europa verschlagen? Fragen über Fragen, die in den nächsten knapp 16 Stunden beantwortet werden. Und ja, das wird alles noch viel schräger, trashiger, aber auch einfach wunderbar unterhaltsam.
Über die Schulter blicken
Spielmechanisch befinden wir uns im Third-Person-Shooter-Bereich, wobei hier die Kamera nicht direkt hinter der Spielfigur schwebt, sondern seitlich von ihr. Wir blicken ihr dabei also über die Schulter und die Spielenden werden näher ans Geschehen herangeführt und die Intensität sowie die Immersion steigern sich. Das war damals 2005 ein ziemlich neues Gefühl und hat sich mittlerweile in vielen anderen Spielen etabliert.

Hier wird also viel geballert? Oh ja. Das Verwenden von diversen Schusswaffen, die immer wieder mit neuer, rarer Munition aufgeladen werden müssen, gehört zur Grundspielmechanik. Eine Unmenge an blauen Bohnen will hier in diverse Körperteile versenkt werden. Gibt es zu Beginn nur ein durchgedrehter Mob, der aggressiv Jagd auf euch macht, wird die Gegnerschar von Level zu Level ausgebaut.
Denn aus Gründen kommt es zu Mutationen, die fremde Gliedmassen und Kräfte hervorrufen, ein Kult schickt genmanipulierte Horrorwesen los und zuweilen kreuzen schon mal grössere Fleischberge unseren Weg. Und wenn dann auch noch von Weitem das Geräusch einer Motorsäge ertönt, wird das Survival-Horror-Gefühl noch schweisstreibender.
Nebst der obligaten Schiessbuden-Gaudi gibt es natürlich auch, wie es sich für ein «Resident Evil»-Spiel seit Anbeginn gehört, die klassischen Rätsel. Diese pendeln von «unheimlich dumm» bis «was wollt ihr genau von mir» und sorgen immer wieder für schöne, ruhige Verschnaufpausen.
Wir sammeln wie gewohnt illustre Gegenstände und setzen diese an Orte ein, hinter denen meistens eine versperrte Tür oder ein sonstiger Weg endlich geöffnet wird, um das Spiel fortzusetzen. Über Sinn und Unsinn macht man sich als «Resi»-Fan gar keine Gedanken mehr, aber manchmal schüttelt man schon den Kopf. Warum zum Beispiel versteckt jemand einen Schlüssel für eine wichtige Örtlichkeit meilenweit entfernt in einer Höhle? Das ist so stupid, aber halt auch herzallerliebst zugleich.

Auf der Suche nach Antworten in diesem Horror-Kuddelmuddel darf auch regelmässig bei einem Händler fröhlich eingekauft und auch verkauft werden. Besiegte Gegner hinterlassen nicht nur etwa Geld, Heilkräuter oder auch mal Munition, sondern auch Wertgegenstände, die ebenfalls in der Spielwelt versteckt sind. Es wird also viel gehandelt und die Spielenden dürfen sich quasi selber ein Waffenarsenal zusammenstellen, um die wilde Horde zu beseitigen. Vorausgesetzt, man hat genügend Geld und genügend Platz im Koffer. Doch auch dieser kann gegen Bares ausgebaut werden.

Was ist eigentlich wirklich anders?
Bei einem Remake stellt sich natürlich die Frage, was denn nun anders als beim Original ist. Dass die Optik hier eine Generalüberholung bekam, liegt ja auf der Hand. Aber diese aufgebohrte Grafik sieht einfach nur durchwegs fantastisch aus und in bestimmten Spielabschnitten kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Alleine das Stöbern in den Dorfhütten zeigt deutlich, dass hier nicht einfach nur ein hübscheres Kleid drüber gestülpt wurde.

Ein weiterer Höhepunkt ist beispielsweise die gigantische Residenz einer durchgeknallten Obrigkeit, wo polierte Marmorböden und prunkvolle Einrichtungen zum Erkunden einladen. Das ganze Areal trieft vor Üppigkeit und Grössenwahn und macht nochmals deutlich, warum wir die «Resi»-Reihe so sehr lieben. Ja, die Optik ist neu, frisch und absolut zeitgemäss. Doch es gibt noch andere, gewichtige Neuerungen.

Die sehr stressigen Quick-Time-Events des Originals wurden komplett gestrichen. Zwar kommt es ab und zu vor, dass im Nahkampf wie wild auf eine Taste gedrückt werden muss, aber im Vergleich zum Überdruss von damals, ist das unbedeutend geworden.
Apropos Nahkampf: Leon ist jetzt deutlich agiler und kann mit dem Messer nicht nur austeilen und Angriffe parieren sondern hat auch ein paar schöne Moves auf Lager, sofern die Gegner vor euch angeschlagen taumeln und ein Hinweis an euch senden.
Inhaltlich gibt es keine komplett neuen Story-Ausrichtungen. Hier und da wurden ein paar Dinge ergänzt oder nette zusätzliche Szenen eingebaut. Aber die Grundgeschichte bleibt gleich und wird im Detail mit klitzekleinen Abweichungen nur die Hardcore-Fans aufhorchen lassen.
Wer abseits der Hauptdramaturgie noch mehr erleben und die Spielzeit damit verlängern möchte, findet viele Nebenmissionen, die innerhalb der Welt erledigt werden wollen. Grosse Content-Kaliber gibt es da aber nicht zu erwarten. Meistens geht es um irgendeine Anzahl von speziellen Gegenständen, die gefunden oder abgeschossen werden muss.

Und auch wenn das Spiel ziemlich linear daherkommt, lohnt es sich doch auch ab und zu mal den Pfad zu verlassen und sich in der kleinen aber feinen Spielwelt genauer umzusehen. Es gibt nämlich einiges zu entdecken. Nebst seltenen wertvollen Schätzen findet man auch mal eine richtig dicke Waffe, vorausgesetzt, der passende Schlüssel ist im Gepäck oder das Schlossrätsel kann geknackt werden. Und wer die Augen offen hält und nicht blind durch die Gegend ballert, wird mit dem einen oder anderen netten Easteregg belohnt.

Ansonsten überzeugt das Remake mit einem Schnellmenü, wo die verschiedenen Waffen rasch ausgesucht werden können und wer aufmerksam spielt, entdeckt doch viele neue Gegnertypen, die einem nach dem Leben trachten. Leon kann jetzt auch neu herumschleichen und vereinzelt herumlungernde Gegner hinterrücks mit dem Messer erledigen. Und wie es sich für ein zeitgenössisches Videospiel gehört, darf die Hauptfigur während dem Laufen den Abzug drücken. Ein Feature, das im Original noch gar nicht möglich war.
Ein Meisterwerk bleibt ein Meisterwerk
Fazit: «Resident Evil 4» hat mich damals auf dem Nintendo Gamecube in seiner Originalform unglaublich stark beeindruckt und tut es mit dem Remake auch heute noch.
Klar, auch diese neue Version kann mit seinem Feinschliff nicht ganz verbergen, wie trashig dieses Abenteuer storytechnisch war und immer noch ist, aber das nimmt man in Kauf, wenn man sich im «Resi»-Universum aufhält und austobt.
Auch wenn der letzte Akt sehr gedehnt daher kommt, die Eskort-Abschnitte mit der Präsidententochter immer noch nerven und der Humor eher zum Fremdschämen ist, überzeugt der Titel mit seiner dichten, taktischen Survial-Atmosphäre und könnte abwechslungsreicher gar nicht sein.
Ich wünschte, ich könnte meine Erinnerungen von damals komplett löschen, um nochmals jungfräulich in den Genuss dieser wunderschön schaurigen Horrorspiel-Erfahrung zu kommen. Wer das Spiel noch nicht kennt, wird aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen, während Veteranen die kleinen aber feinen Änderungen mit offenen Armen empfangen werden.
«Resident Evil 4» war bereits ein Meisterwerk und ist auch heute noch ein Videospiel, das man als Genre-Fan unbedingt gespielt und erlebt haben muss.
Quelle: watson.ch